Morgenstund hat Gold im Mund

(aus Yoga Aktuell 70)

 

 

Der frühe Vogel fängt den Wurm, sagt man. Womit man wohl andeuten möchte, dass es sich lohnt, früh aufzustehen. Dabei fragt so gut wie nie einer, was es eigentlich dem Wurm gebracht hat, so früh aufzustehen. Nicht viel, oder? Wie dem auch sei. Ein Yogi steht jedenfalls ähnlich früh wie ein Vogel auf. Allerdings eher selten, um Würmer zu fressen. So hoffe ich doch…

Nein, ein Yogi steht auf, um – Überraschung – Yoga zu machen. Und das muss er auch. Yoga machen, meine ich.

 

Ansonsten wäre er ja kein Yogi. Sondern Friseur. Oder Bademeister. Oder Skilehrer. Oder Fleischwarenfachverkäuferin. Aber ich schweife ab… Grundsätzlich ist natürlich nichts gegen eine so genannte Sadhana, also eine tägliche Yoga-Praxis, einzuwenden. Im Gegenteil. Am effektivsten ist Yoga natürlich, wenn man täglich praktiziert. Aber die Frage muss erlaubt sein, weshalb so viele Yogameister empfehlen, in aller Herrgottsfrühe zu praktizieren. Yogi Bhajan, der Meister des Kundalini-Yoga, zum Beispiel, warb zeitlebens für halb vier als optimale Zeit für den Beginn einer Sadhana. Und damit meinte er ausdrücklich nicht den späten Nachmittag.

 

Halb vier morgens – das muss man sich mal vorstellen! Um die Zeit kommt so mancher erst nach Hause. Und dessen Gedanken kreisen dann auch eher weniger um Sadhana, sondern um Sandra. Aber egal. Ich persönlich habe jedenfalls kein Problem damit, früh aufzustehen und mein Yogaprogramm zu machen. Und wollen Sie wissen, wie ich es schaffe, jeden Tag aufs Neue meinen inneren Schweinehund zu überwinden? Ich verrat es Ihnen. Und sage nur ein einziges Wort: eiserne Disziplin. Gut, das sind zwei Worte, aber Sie wissen, was ich meine.

 

Ja, genau, ich bin ein Disziplin-Fanatiker! Jeden Abend stelle ich den Wecker auf 3.30 Uhr, springe morgens beim ersten Klingeln sofort aus dem Bett und beginne mein Yogaprogramm. Das heißt, manchmal bleibe ich nach dem ersten Klingeln noch ein paar Minütchen liegen, und den Wecker stelle ich abends, ehrlich gesagt, auf 9.30 Uhr statt auf 3.30 Uhr, und auf das morgendliche Yogaprogramm verzichte ich im Prinzip ganz. Aber der Rest stimmt.

 

Also gut, jetzt mal im Ernst: Eine Zeitlang habe ich wirklich versucht, um halb vier aufzustehen. Dabei kam es, kurz nach dem ersten Klingeln des Weckers, immer zu ein und demselben Dialog. Ein Dialog zwischen mir und einem komischen Wesen namens „Unterbewusstsein“.

Der Dialog ging ziemlich genau wie folgt:

 

UB (Unterbewusstsein): „He, Schlafmütze! Aufstehen! Zeit für deine Sadhana!“

Ich: „Santana?“

UB: „Nun mach schon. Du bist spät dran.“

Ich: „Wie kann ich spät dran sein? Es ist mitten in der Nacht.“

UB: „Es ist halb vier.“

Ich: „Mitten in der Nacht!“

UB: „Jetzt lass dich nicht so bitten. Ich will doch nur dein Bestes.“

Ich: „Du willst nur mein Bestes?“

UB: „Ja…“

Ich: „Dann lass mich schlafen!“

 

Hier endet der Dialog meistens. Und ich begann in einen tiefen Schlaf zu sinken. Dem Schlaf wird übrigens von vielen Psychologen eine große Bedeutung beigemessen. Ebenso dem Unterbewusstsein. Die Psychologen behaupten, dass das Unterbewusstsein einen enorm großen Einfluss auf unser Ich-Bewusstsein hat. Auf mich scheint diese Theorie allerdings nicht zuzutreffen. Zumindest nicht morgens um halb vier. Womit für mich persönlich auch klar ist – und das freut mich, nebenbei gesagt, sehr -, als welches Wesen ich vermutlich im nächsten Leben nicht wiedergeboren werde: als Wurm. Immerhin etwas.